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Message #842

Name: brazine
Date:Friday July 28, 2006 6:03:51 pm MDT
Subject:(No subject)
Message:Brazilian Art

Ein Panorama der brasilianischen bildenden Kunst in Deutschland
 
 
Im Zusammenhang mit den kulturellen Aktivitäten hebt sich die brasilianische bildende Kunst enorm hervor und weckt ein wachsendes Interesse in einigen großen internationalen Kunstzentren. Auf Anregung der Regierung nehmen immer mehr brasilianische Künstler an wichtigen globalen Kunstveranstaltungen teil, was Kontakte zu den Galerien, Institutionen und Kuratoren, Kunstkritikern und anderen internationalen Künstlern erleichtert. Die Geschichte ist jedoch eine ganz andere, wenn wir uns auf hier lebende Künstler beziehen, ohne autorisierte Projekte oder Stipendien.

„Jeder Affe auf seinem Ast“

Die brasilianische Botschaft in Berlin, zum Beispiel, realisiert lediglich sporadisch Ausstellungen lokaler Künstler. Ohne Unterstützung der Regierung, umgeben von einer anderen Sprache, anderer Kultur und anderem Klima, müssen sie selbst erkennen, wie das System im künstlerischen Milieu des zum Leben ausgewählten Landes funktioniert. Wie kontaktiert man andere Künstler? Wie bringt man Projekte auf den Weg? Wie bereitet man Ausstellungen vor? „In diesem Punkt wünscht man sich engeren Kontakt zwischen den hiesigen brasilianischen Künstlern“, kommentiert Ronald Fita, der seit neun Jahren zwischen Hamburg und Bremen pendelt. Die aus Ceará stammende Luzia Simons bestätigt: „Der Individualismus in unserem Bereich ist sehr groß.“

„Hinter einem großen Künstler gibt es immer einen großen Kurator“

Von Simons’ Behauptung, bekräftigt durch fast alle Befragten, geht ein Widerspruch aus: Der Individualismus ist groß, aber allein ist es schwer etwas zu erreichen. Man muss auf einen Galeristen zählen. Noch besser ist es, wenn zwischen Künstler und Galerie ein Kurator auftritt, dessen Aufgabe es unter anderem ist, aufmerksam zu sein und neue Zusammenhänge zu schaffen, damit die – in diesem Falle brasilianische – Kunst, die er vermittelt, in den deutschen Galerien akzeptiert wird. „Normalerweise müssen wir den Impuls geben, unsere Kunst anbieten. Und die Auswahl des Künstlers hängt von der Situation ab, vom Profil des Ortes, dem Publikum, dem Einklang zwischen den vorgestellten Objekten“, erklärt die Kunsthistorikerin Tereza de Arruda, die 1989 in die deutsche Hauptstadt gekommen ist.
Der Kurator wird von einigen Künstlern als grundlegender Teil des Puzzles angesehen, da er die Kunstwelt in der letzten Zeit verwandelt hat. „Die Kunst wird heute von den Kuratoren gemacht. Ohne die Unterstützung eines Kurators und den Kontakt zu den Kritikern erreicht man gar nichts, selbst wenn das Talent da ist. Leider gibt es viel Klüngel und Freundeskreise, die sich untereinander helfen,“ kritisiert Flauberto Medeiros, der seit fünf Jahren in Berlin ist. Laut Emídio Paiva aus Espírito Santo wurde der Begriff des Kurators etwas banalisiert, viele benutzten ihn, ohne es zu sein. „Ich habe schon einige Ausstellungen konzipiert und koordiniert, aber bezeichne mich selbst nicht als Kurator.“ Und ergänzt: „Obwohl ich Bilder male, sehe ich mich nicht als bildenden Künstler, weil ich weder von der Kunst lebe noch ein Atelier besitze.“ Paiva glaubt, dass der Kurator dank der Documenta in Kassel zum „Kopf“ der Künste geworden sei, wo die Kuratoren Stars sind und Tendenzen bestimmen.
Die An- oder Abwesenheit eines Kurators verhindert jedoch nicht, dass Galerist und Künstler direkt verhandeln. So war es im Falle von Rosilene Ludovico, die an dem Tag entdeckt wurde, als sie ihre Abschlussprüfung an der Kunstakademie Düsseldorf ablegte. „Es war Anfang 2003, als mein jetziger Galerist meine Arbeit sah. Sie gefiel ihm und er gab mir seine Visitenkarte. Ich stellte mich vor und begann in München auszustellen“, erzählt Ludovico, die 1995 in Deutschland ankam, ohne Deutsch oder Englisch zu sprechen. Nur mit ihren Bildern im Gepäck und viel Mut wurde sie an der Kunstakademie aufgenommen, erst als Gasthörerin und später als Studentin.

„Es ist nicht alles Gold, was glänzt“

Ludovico überlebt von ihrer eigenen Kunst, aber allein von der Kunst zu leben, ist ein Privileg weniger. Unter ihnen ist Alex Flemming, dessen Werke zwischen 1.000 und 25.000 Euro geschätzt werden. „Jede Arbeit kostet viel Geld und muss verkauft werden, aber die teuersten gehen selten weg“, stellt er klar. Sogar er, der Teilnehmer an drei Biennalen in São Paulo war, sowohl in Brasilien als auch in Deutschland zu Hause ist und schon in verschiedenen Ländern rund um den Globus ausgestellt hat, beklagt, dass manchmal das Geld für die Miete fehle. „Die Welt der bildenden Kunst hat einen völlig falschen Schein. Super schick, abgehoben. Aber sie ist total hart. Voller Höhen und Tiefen“, erklärt Flemming, der - wie er sagt - wie ein Verrückter arbeitet, um die Brücke zwischen den beiden Ländern zu schlagen.
Aber ein wirklicher Künstler lebt von der Kunst, auch wenn es nicht die eigene ist. So überlebt Flauberto aus Paraíba, der manchmal Ausstellungen anderer Künstler aufbaut. Also schlägt er die Nägel in die Wand und hängt die Bilder auf. Er versichert, dass er ziemlich viel produziere und immer am Ball sei, aber was er erreicht, ist die Teilnahme an Wohltätigkeitsprojekten – zur Zeit vertritt er Brasilien auf der Wanderausstellung United Buddy Bears; dort hat er einen Bären (Symbol Berlins) von etwa zwei Metern Höhe bemalt.

„Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage“

Während Flauberto Brasilien vertritt, meinen andere Künstler, sie würden sich nichts aus der Nationalität machen. „Ich trete nicht als brasilianische Künstlerin auf, sondern als Luzia Simons. Ich mache nicht, was die Leute von Brasilien erwarten“, erregt sich die Künstlerin, die seit zwanzig Jahren in Stuttgart lebt. „Nicht immer erwähnen die deutschen Zeitungen, dass ich in Brasilien geboren bin“, stimmt Flemming zu.
Man glaubt, wenn der Künstler offensichtlich Brasilianer ist, seine Werke aber nicht auf sein Land verweisen, wäre das Risiko eines gewissen Durcheinanders in der Interpretation seiner künstlerischen Arbeit größer, gerade weil im Ausland die Erwartung besteht, dass die Wurzeln widergespiegelt werden. „Ich sehe diese Schwierigkeit nicht als etwas Entscheidendes. Unter den vielen Aspekten der Kunst ist die Umsetzung der Ideen über das Gefühl, das universell ist“, erklärt Ronald Fita aus Bremen. Die Deutsche Sonja Eizenhöfer, die auf der Suche nach brasilianischen Künstlern für Ausstellungen in deutschen Unternehmen in der Frankfurter Region mit Brazine in Kontakt trat, bestätigt: „In Ausdrucksweise, Stil, Technik oder Farbe möchte ich niemanden festlegen - da ist die Kunst frei! Gerade die zeitgenössischen Maler aller Welt lassen sich nicht mehr unbedingt auf ihre Herkunft zurückführen. Ich bemerke jedoch, dass die eher gegenständliche Malerei mit kräftigen Farben und auch die Motive aus entsprechenden Ländern sehr gut ankommen. Wichtig ist mir dabei das Können.“
Nach Auffassung der Künstlerin Tita do Rêgo Silva, deren Atelier sich in Hamburg befindet, müsse ein Brasilianer sein Land nicht in seiner Arbeit abbilden, sollte aber schon seine kulturellen Wurzeln als Ausgangspunkt nutzen. „Wenn ich als Brasilianerin eine Arbeit vorweise, die nicht europäisch ist, fühle ich mich schon in der Rolle der multikulturellen Vermittlerin“, vervollständigt sie.
Aber bis zu welchem Punkt ist die soziale, wirtschaftliche und politische Integration des Künstlers im Gastland wichtig? „Als Künstler ist es unmöglich, eine gute Beziehung zu entwickeln, wenn man die Gesellschaft nicht versteht, in der man lebt und arbeitet“, sagt Fita, der in seinen Arbeiten Fragen der deutschen Politik behandelt. Luzia Simons philosophiert: „Wie soll man seine eigene Identität in einem anderen Kontext behalten? Man muss in die Gesellschaft eindringen, in der man lebt.“ Die Meinungen diesbezüglich sind jedoch unterschiedlich. „Ich denke, dass die Ausländer, die in Deutschland wohnen und europäische Kunst machen, leider immer als ausländische Künstler wahrgenommen werden, als Drittweltler, Latinos. Die europäische Kunst ist sehr elitär“, beschwert sich Rêgo Silva. Laut Tereza de Arruda übertreiben viele und verlieren schließlich ihre Authentizität: „Man muss echt sein und nicht versuchen, sich einfach anzupassen.“

„Wo es Piranhas im Fluss gibt, schwimmen Krokodile auf dem Rücken“

„Ich schätze die Brasilianer sehr, die den Mut haben, aus Brasilien fortzugehen und versuchen, hier auszustellen“, sagt die Sammlerin moderner und zeitgenössischer Kunst, Luzia Griethe. Die Kölnerin erinnert sich an die Herausforderung, Werke durch den Zoll zu bringen, weil sie als Kulturgut angesehen werden. „Ich helfe immer durch all diese Schwierigkeiten hindurch. Gehe zu Ausstellungen, kaufe Bilder, nehme die Künstler bei mir zu Hause auf, wenn es nötig ist, und gestalte sogar die Ausstellungen mit“, kommentiert sie.
Zu diesen Herausforderungen kommt noch die Konkurrenz, der sich der brasilianische Künstler stellen muss. Schließlich sind in Deutschland als gewesener und auch heute immer noch bedeutender Bühne der Kunstgeschichte bildende Künstler aus der ganzen Welt konzentriert. Aus diesem Wettbewerb entspringt die Notwendigkeit, Individualist zu sein. „Die Stücke meines Kuchens gebe ich, wem ich will. Es ist nicht richtig, dass jemand kommt und eine Gabel voll von meinem Teller nimmt, nachdem ich so viel Zeit aufgewandt habe, ihn zuzubereiten“, bekräftigt Arruda.
Ludovico hebt hervor, dass die Konfrontation mit Kollegen aus verschiedenen Nationalitäten enorm sei, was gute Ergebnisse bringe: „Dieser Zusammenhang ist sehr stark. Wir stellen uns ständig in Frage und kritisieren uns, auf eine realistische und professionelle Weise. Manchmal tut das weh, aber so wächst man.“
Wenn auf der einen Seite Schwierigkeiten bestehen, bemerken wir auf der anderen die Errungenschaften der Künstler in Deutschland, Österreich und der Schweiz: Gewerkschaft, Krankenkasse, Rentenversicherung und anderes. Außerdem gibt es hier eine gewaltige Menge an Galerien und Museen – allein in Deutschland sind es etwa fünftausend.

„Du erntest, was du gesät hast“

„Alles hängt davon ab, wie man auftritt“, ist der Rat, den Tereza de Arruda den Künstlern, die am Anfang stehen, gibt. „In Brasilien kann man die Presse kaufen, hier ist es notwendig, sie zu erobern. Man muss seine Fähigkeit in der Praxis beweisen. Beharrlichkeit und Kampf: es ist harte Arbeit und sehr individuell“, sagt die Spezialistin. Eine andere Empfehlung ist, deutsche Kunsträume zu erobern, ansonsten wird die Wirkung sehr begrenzt bleiben. „Man muss sehr bescheiden sein und unten anfangen, in kleinen Galerien ausstellen, um Aufnahmebereitschaft zu schaffen“, endet Arruda.
Flemming, der von sich selbst sagt, er sei Bürger von São Paulo, Berlin, Lissabon und New York empfiehlt: „Beim Aufwachen muss man mit dem rechten Fuß aufstehen, für einen guten Tag beten, ein künstliches Gebiss für das Lächeln einsetzen und eine Rüstung anlegen, um sich zu schützen.“
Amen.

Text von LUCIANA WERNERSBACH
Deutsch von ANDRÉ SCHRÖDER & BIRGIT HOHERZ
 

 
 
 
   
 
 
 
 
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